Endlich gelangen sie nach Bethlehem, dem Ort wo Maria inzwischen entbunden hat. Auf der Straße haben sie ebenfalls das Schauspiel des Himmels gesehen.
Melchiors Augen wurden immer größer, als der Stern über ihnen sich drehte und regelrecht Funken zu versprühen schien. Balthasars buschige Augenbrauen waren bis zum Haaransatz hochgezogen und Caspar sah vor Erstaunen ganz dumm aus.
„Das ist keine Sternenformation“, flüsterte Balthasar erfürchtig, „das ist …“
„… Gottes Werk“, vervollständigte Melchior seinen Satz. „ Das geht über alles hinaus, was am Himmel je sichtbar gewesen ist. Es ist ein Wunder – ein Zeichen, das uns zeigt, das wir gut daran getan haben, nach diesem König zu suchen.
Zum ersten Mal seit sie aufgebrochen waren, lag Caspar keine verächtliche Bemerkung auf der Zunge. Er sah das Wunder an und murmelte: „Kann das wahr sein?“
“Es ist wahr!“ Melchior trat seinem Kamel erneut in die Flanken und folgte dem Funkeln.
Wie die meisten alten Städten bestand auch der Geburtsort Davids aus gewundenen Straßen, windschiefen Häusern und verborgenen Gässchen. Melchior hätte die Suche nach dem richtigen Haus gleich aufgegeben, aber der Stern wies ihnen zuverlässig den Weg. Der Himmelskörper ging ihnen voraus, hielt sich über ihren Köpfen und führte sie dann eine schmale Gasse hinunter und an einem eingefallenen Brunnen vorbei. Dann blieb er über einen Haus stehen.
Melchior befahl seinem Kamel, in die Knie zu gehen, und hielt sich dann an seinem Sattel fest, als es zunächst die Vorder-, dann auch die Hinterbeine einknickte und ihn auf der Erde absetzte. Auch Balthasar und Caspar stiegen ab, und in ihren Gesichtern stand gespannte Erwartung.
An Melchior gewandt sagte Caspar: „Irgendetwas stimmt doch hier nicht. Das Haus sieht mir nicht so aus, als wäre es eines Königs würdig.
Melchior hob die Augen zu dem hell strahlenden Stern, der genau über ihnen stand. „Willst du vielleicht gegen der Stern Einspruch erheben, der uns bis hierher gebracht hat?“
Balthasar lief ein paar Schritte auf und ab, was nach all den Stunden, die er schon an diesem Tag im Sattel verbracht, nicht ganz einfach war. „Das muss eine Verwechslung sein. Vielleicht geht es um ein Haus, das hinter diesem hier steht und das wir von hier aus nicht sehen können.“
„Das können wir ja erfragen.“
Melchior klopfte an die Tür. Er wartete mit vor dem Bauch verschränkten Hände, bis eine halbe Ewigkeit später drinnen ein Riegel zurückgeschoben und die Tür geöffnet wurde.
„Entschuldige bitte die Störung“, sagte er und verneigte sich, „Aber wir sind auf der Suche nach einem neugebornen Kind hergekommen.“
Der gedrungene Mann im Türrahmen runzelte die Stirn und grummelte dann: “da hinten, die Gasse runter. Das einzige Kind hier ist dort im Stall.“
Melchior starrte den Mann in verwirrter Verzweiflung an. „Der Stall, sagst du?“
Der Mann schloss die Tür ohne ein weiteres Wort, und so starrte Melchior nur noch gegen eine Holzplatte.
Caspar schüttelte den Kopf. „Das alles ist doch völlig verrückt. Der reinste Alptraum … „
Melchior brachte ihn mit erhobener Hand zum Schweigen. „Wir sind doch nicht so weit gekommen, um jetzt unverrichteter Dinge wieder abzuziehen – nur weil das Kind an einem Ort ist, den wir nicht erwarten?“
Er zog sein Gewand fester um sich und marschierte die Gasse entlang, die von dem Haus wegführte. Die Schritte seiner Gefährten knirschten neben seinen. Zuerst sahen sie einen hölzernen Zaun, dann einen Esel, der zu schlafen schien, dann hörten sie das leise Meckern einer Ziege, und rochen Mist und Stroh, und als sie um die Ecke bogen, sahen sie auch den Kopf einer jungen Frau.
„Keine Angst“, murmelte er und hob die Hand, damit seine Freunde anhielten. „Da vorne ist es.“
Mit der Zuversicht, die aus dem Glauben entspringt, eilte Melchior zu den Kamelen zurück. Er zerrte die goldene Schatulle mit seinem Geschenk aus einer der Satteltaschen, klopfte sich dem Staub vom Gewand und strich sich den Bart glatt. Als er sich sicher war, dass sein Auftritt dem Respekt entsprach, der den Besuch bei einem König angemessen war, klemmte er sich die Schatulle unter den Arm und ging den anderen zum Stall voran.
Was er dort sah, verschlug ihm den Atem. Ein neugeborner König, der an der Brust eines jungen Mädchens trank, das gut und gerne Melchiors Enkelin sein konnte. Diese kleine Leben schien so neu und zerbrechlich, dass man es mit einem leichten Schwerthieb und einem einzelnen Schlag leicht auslöschen konnte.
Ein Kind… in einem Stall.
Ein bärtiger Mann trat vor, er hatte die Fäuste geballt, und seine Augen funkelten. Ohne dass man ihm das extra sagen musste, wusste Melchior, dass dieser Mann alles tun würde, um Mutter und Kind zu beschützen.
„Entschuldigt uns bitte“. Melchior ließ sich auf die Knie nieder. „Wir sind viele Tage unterwegs gewesen und weit gereist … um den neugebornen König zu ehren.“
Die junge Mutter sah auf und bedeckte sich sittsam, nachdem das Kind eingeschlafen war. Der bärtige Mann zögerte kurz, nahm ihr das Kind aus dem Arm und legte es in ein Bett, das er aus Stroh gebaut hatte.
Ein König … in einer Futterkrippe.
„Ich sehe ihn“, flüsterte Melchior, „in unserer Zeit. Ich sehe ihn, aber nicht, wo ich ihn erwartet habe. Ein Stern ist über Jakob aufgegangen, ein Zepter ist aus Israel hervorgegangen ...“
Der Bärtige warf ihm einen scharfen und doch müden Blick zu. Melchior nahm den Turban ab und entblößte sein Haupt. „Ich bitte euch, unser Eindringen zu entschuldigen, aber wir … wir sind dem Stern gefolgt. Er hat uns zu diesem Haus geführt … und zu euch.“
Der Mann blickte zum Himmel auf und legte der Frau dann beschützend eine Hand auf die Schulter. Sie lächelte Melchior an, und trotz der Erschöpfung schien ihr Gesicht zu strahlen.
„Wie es sich für einen König gebührt, haben wir auch Geschenke mitgebracht“, fuhr Melchior fort, zog die Schatulle unter dem Arm hervor und legte sie vor der Mutter des Kindes ab. Er hob den Deckel hoch. „Gold für den König der Könige.“
Balthasar trat neben ihn, ging ebenfalls in die Knie und zog sein Geschenk hervor: „Weihrauch für den höchsten aller Priester.“
Caspar sprach mit stiller Überzeugung. „Und Myrrhe“, sagte er und setzte einen Alabasterbehälter neben die anderen, „zur Würdigung deines Opfers“
Melchior wartete schweigend, als die Mutter auf die Geschenke blickte und dann nach der Hand ihres Mannes griff. Der Bärtige öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen, und schloss ihn dann wieder. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“
Die Mutter sah zu ihrem schlafenden Kind hin. „Es gibt eben Dinge“, sagte sie, und ihre Stimme klang zerbrechlich und zart, „für die wir einfach keine Worte haben. Aber vielen Dank.“ Sie lächelte den drei Männern zu. „Vielen Dank für die Geschenke … und für euren Glauben.“
Auszug aus dem Buch: Es begab sich aber zu der Zeit… von Angela Hunt - erschienen im Franke Verlag ©
( 240Seiten – zur Zeit im Sonderangebot: statt 9,95€ nur 1,77€)
Eingestellt mit freundlicher Genehmigung des Franke Verlages
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Passagen in dieser Farbe sind (verbindende) Worte von mir.
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