Übersetzung: Begegnung fürs Leben
Lukas
2, 6+7
Es war einmal ein Hirte,
der lebte auf einem Felde in der Nähe Bethlehems. Er war groß und stark, aber
er hinkte und konnte nur an Krücken gehen. Darum saß er meistens mürrisch am
Feuer und sah zu, dass es nicht ausging. Die anderen Hirten fürchteten ihn.
Als den Hirten in der
Heiligen Nacht ein Engel erschien und die frohe Botschaft verkündete, da wandte
er sich ab. Und als sie sich aufmachten, um das Kind zu finden, so wie es ihnen
der Engel gesagt hatte, blieb er allein am Feuer zurück. Er schaute ihnen nach,
sah, wie das Licht ihrer Lampen kleiner wurde und sich in der Dunkelheit
verlor. “Lauft, lauft! Was wird es schon sein? Ein Spuk, ein Traum! ” Die
Schafe rührten sich nicht. Die Hunde rührten sich nicht. Er hörte nur die Stille.
Er stocherte mit der Krücke in der Glut. Er vergaß, frisches Holz aufzulegen.
Und wenn es kein Spuk, kein Traum wäre? Wenn es den Engel gab? Er raffte sich
auf, nahm die Krücken unter die Arme und humpelte davon, den Spuren der anderen
nach.
Als er endlich zu dem
Stall kam, dämmerte bereits der Morgen. Der Wind schlug die Tür auf und zu. Ein
Duft von fremden Gewürzen hing in der Luft. Der Lehmboden war von vielen Füßen
zertreten. Er hatte den Ort gefunden. Doch wo war nun das Kind, der Heiland der
Welt, Christus, der Herr in der Stadt Davids? Er lachte. Es gab keine Engel.
Schadenfroh wollte er umkehren. Da entdeckte er die kleine Kuhle, wo das Kind
gelegen hatte, sah das Nestlein im Stroh. Und da wusste er nicht, wie ihm
geschah. Er kauerte vor der leeren Krippe nieder. Was machte es aus, dass das
Kind ihm nicht zulächelte, dass er den Gesang der Engel nicht hörte und den
Glanz Marias nicht bewunderte! Was machte es aus, dass er nun nicht mit den
anderen in Bethlehem durch die Straßen zog und von dem Wunder erzählte! Was ihm
widerfahren war, konnte er nicht mit Worten beschreiben. Staunend ging er
davon. Er wollte das Feuer wieder anzünden, bevor die anderen Hirten
zurückkamen. Doch als er eine Weile gegangen war, merkte er, dass er seine
Krücken bei der Krippe vergessen hatte. Er wollte umkehren. Warum denn? Zögernd
ging er weiter, dann mit immer festeren Schritten.
Max Bolliger, Eine
Wintergeschichte aus: ders., Ein Duft von Weihrauch und Myrrhe
© 2009 Verlag am
Eschbach der Schwabenverlag AG, Eschbach/Markgräflerland
mit freundlicher Genehmigung bis 30.4.2014 (wird danach entfernt)
Ein gesegnetes
Weihnachtsfest Ihnen und allen ihren Lieben
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