Maria ist gerade von Elisabeth zurückgekehrt, bei der sie ca. 3 Monate verbracht hat. Elisabeth wurde von einem gesunden Jungen entbunden, den sie Johannes genannt haben. Nach dieser anstrengenden Reise sucht sie ihr Elternhaus auf. Ihr Vater ist gerade nicht zu Hause.
Ihre Mutter runzelte die Stirn, als ihr bewusst wurde, wie viel Maria gegessen hatte, seit sie hereingekommen war. „Hat Elisabeth dir nicht genug Essen für die Reise mitgegeben? Ich habe noch nie gesehen, das du so viel zu dir genommen hast.“
Ohne Vorwarnung sah sie Maria plötzlich alarmiert mit ihren dunklen Augen an. Und bevor ihre Tochter sich recht versah, hatte sie die Hand ausgestreckt und auf die kleine Kugel gelegt, die unter Marias Rippen gewachsen war.
Ihr Gesicht verzerrte sich, als sie erfühlte, dass ihre Tochter ein Kind erwartete. Sie sank wortlos auf die Matte zurück und starrte Maria unverwandt an.
Maria atmete tief durch, hob den Kopf und hielt dem durchdringenden Blick ihrer Mutter stand. „Ich habe keinen Schwur gebrochen.“
Ihre Mutter kreuzte die Arme vor der Brust. „Ist das Kind von Josef?“
Maria wandte den Blick ab und konnte nicht antworten. Wie sollte sie denn nur erklären was passiert war, wenn ihre Mutter schon jetzt das Schlimmste annahm?
„Wenn das Kind nicht von Josef ist“ fuhr ihre Mutter in einem schneidend scharfen Ton fort, „dann hast du jeden einzelnen Schwur gebrochen, den es zu brechen gab.“
Maria schloss die Augen. „Vertrau mir doch.“
„Warum sollte ich dir vertrauen? Weist du eigentlich welche Schande du über dich bringst? Und über Josef?“ Ihre Stimme wurde vor lauter Sorge ganz heiser. Das Gesetz verlangt, dass du rein bleibst, bis du in sein Haus ziehst.“
Maria sah wieder hoch, ihrer Mutter direkt in die Augen. „Ich habe das Gesetz nicht gebrochen.“
Ihre Mutter stöhnte auf. „War es einer von Herodes` Soldaten? Einer von den Römern? Irgendjemand auf der Reise nach Juttah?“
Maria schüttelte den Kopf. „Ich habe dich doch gebeten mir zu vertrauen.“„Wie kannst du das die ganze Zeit sagen? Hör auf zu träumen, Maria, - es sind schon Frauen für weniger gesteinigt worden als für so etwas!“ Ihre Mutter stützte den Ellbogen aufs Knie. Dann ließ sie ihren Arm ganz plötzlich sinken und lehnte sich zu ihrer Tochter hinüber. „Du hättest bei Elisabeth bleiben sollen. Du hättest das Kind dort zur Welt bringen sollen, wo die Leute aus deinem Dorf es nicht mitbekommen…“
„Das hat Elisabeth auch vorgeschlagen, aber ich muss dem Willen eines andern folgen… Ich muss Adonai gehorchen.“
Ihre Mutter wurde ganz blass vor Schreck, und dann traten ihr Tränen des Kummers in die Augen. „Du scheinst ja sehr von dir überzeugt zu sein, Maria, aber Männer vergeben nicht so leicht. Josef ist ein guter Mann, aber das wird auch ihm zu viel sein.“
Sie schüttelte den Kopf und erhob sich. „Glaub mir, Tochter. Ich kenne keinen einzigen Mann, der das verzeihen würde. Ich weiß nicht wie wir das Josef beibringen sollen…“
„Ihr müsst es ihm nicht sagen. Ich werde heute noch zu ihm gehen, bevor Vater zurückkommt.“
In seinem fast fertig gestellten Haus saß Josef sprachlos da. Er sah sich außerstande, die Geschichte zu glauben, die seine Verlobte ihm gerade erzählt hatte. „Ich habe so sehr auf deine Rückkehr gewartet, Maria“, sagte er. Er sah ihr fest in das immer noch liebliche, immer noch reine Gesicht. „Und jetzt bist du wieder da und erzählst mir, dass du…“
„Ich werde deine Entscheidung verstehen, wie auch immer sie ausfällt“, sagte Maria und nickte ernsthaft, um ihre Worte zu untermalen. „Du bist ein gerechter Mann und mir ist klar, dass solche Neuigkeiten schwer anzunehmen sind. Aber glaub mir bitte, dass ich nichts Falsches gemacht habe, Josef. Ich bin mit dir verlobt, ich bin dir treu gewesen, und ich habe mich an alles gehalten, was das Gesetz vorsieht.“ Sie senkte den Blick und sah auf ihre Hände nieder.
„Mehr kann ich nicht sagen.“
Eine Stille breitet sich zwischen ihnen aus, ein Fehlen jedes Geräusches, als hätte sich zwischen ihnen beiden eine unsichtbare Mauer aufgebaut. Josef sah die Frau an, auf die er gewartet, für die er sich aufbewahrt hatte …
Wie hatte dieser Wahnsinn nur geschehen können?
Er wollte sie schon in seiner Verwirrung davonjagen, als sich ein kleiner Rest Wut in ihm bemerkbar machte. „Weißt du eigentlich, warum ich dich ausgewählt habe, Maria? Warum ich so viele Jahre gewartet habe, bis ich auf deinen Vater zugegangen bin?“
Sie hob den Kopf, sagte aber nichts.
„Sie haben gesagt, du bist ein gottesfürchtiges Mädchen, dem Ehre wichtig ist.“ Er merkte selbst, wie verächtlich er klang, aber er konnte sich nicht zurückhalten. „Ich habe mein Leben lang nach Ehre getrachtet. Ich habe Gerechtigkeit zu einer Zeit gesucht, in der sie nicht leicht zu finden ist. Und was soll ich jetzt tun? Wenn ich behaupte, das Kind sei von mir, müsste ich lügen. Das wäre ein Bruch der Gebote Gottes.“
Maria schloss die Augen. „Ich würde dich niemals bitten zu lügen.“
„Wenn ich sage, das Kind ist nicht von mir“, fuhr Josef fort, „werden mich alle fragen, was ich dann mit dir machen werde. Wenn ich dich dieser … dieser Sünde bezichtige …“
Er sah sie an, als hoffte er, dass sie ihm aus seiner misslichen Lage heraushelfen konnte, aber sie starrte nur auf den Boden und wartete ab, was er sagen würde.
Manchmal rieb ihm die Last, eine schwere Verantwortung zu tragen, fast die Schultern wund.
„Dieses Kind hat eine besondere Aufgabe“, sagte Maria schließlich mit schwacher Stimme.“ „Und diese Aufgabe ist größer als meine Angst davor, was die Leute mit mir machen könnten.“
Ihre Ruhe und schier unglaubliche Gelassenheit verwirrten ihn und machten ihn gleichzeitig wütend. Tief in seinem Innern spürte er eine unbändige, ungestüme Wut in sich aufkeimen. Er griff sich ein hölzernes Gefäß, das auf seiner Werkbank stand, und warf es quer durch den Raum.
Maria zuckte zusammen.
Als ihm wieder bewusst war, wie schutzlos sie da vor ihm saß, verflog sein Ärger so schnell, wie er gekommen war. Wie konnte so eine Frau untreu sein? In ihren Augen sah er keine Arglist und keinen Verrat. Nur Treue. Wahrheit. Und eine rückhaltlose Bereitschaft, sich seiner Entscheidung zu fügen … selbst wenn er entschied, dass sie getötet werden sollte.
Er konnte eine solche Frau doch nicht dem Gespött der Leute aussetzen.
„Ich werde dich nicht öffentlich anklagen“, sagte er schließlich und brach unter dem Gewicht seiner Worte fast selbst zusammen. „Und ohne die wird es kein Gerichtsverfahren geben.“
Sie sah ihn kurz und etwas abwesend an und versuchte zu lächeln. „Aber … du wirst mich nicht zu dir nehmen?“
Er wusste nicht, was er ihr darauf antworten sollte.
Sie nickte, während sich die Röte vom Nacken her auf ihrem ganzen Gesicht ausbreitete. „Du hast mir große Barmherzigkeit erwiesen Josef“, sagte sie, „und dafür werde ich immer dankbar sein.“
Sie stand von ihrem Platz auf und ließ ihn allein zurück.
Auszug aus dem Buch: Es begab sich aber zu der Zeit… von Angela Hunt erschienen im Franke Verlag©
Eingestellt mit freundlicher Genehmigung des Franke Verlages
( 240Seiten – zur Zeit im Sonderangebot: statt 9,95€ nur 1,77€)
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Passagen in dieser Farbe sind (verbindende) Worte von mir.
Passagen in weißer Schrift ist der Originaltext des Buches.
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